Der Kutscher wollte König sein
Jahrelang schon hatte der königliche Hofkutscher die Majestät eines fernen Landes durch sein Reich kutschiert und täglich mit angesehen, wie dem König,
wohin sie kamen, von dem untertänigen Volk gehuldigt wurde. Das gefiel dem Kutscher so ausnehmend
gut, daß er selbst den Wunsch verspürte, einmal König zu spielen. Da es sich um einen leutseligen
Herrscher handelte, konnte der einfache Mann sich eines Tages seinem Herrn anvertrauen. Dieser
war auch sofort mit dem Tausch einverstanden und wußte es so einzurichten, daß sie auf einem der
nächsten Fahrten von keinem Lakai und keinem Minister begleitet wurde.
Als der König allein mit seinem Kutscher ein Stück gefahren war und sie in einen kleinen Wald kamen,
ließ der König halten. Schnell wechselten sie die Kleider; der Regent erhielt den schon etwas speckigen
Kutschermantel und die Peitsche. Der Kutscher aber legte sich den schweren Purpurmantel um die
Schultern und bekam vom König höchstselbst die schwere Edelsteinkrone aufs Haupt gesetzt.
So fuhren sie ins nächste Dorf. Wo sie auch auftauchten, riß das Volk die Mützen von den Köpfen,
riefen "Hurra!" und "Lang lebe der König!". Der Kutscher sonnte sich deshalb sehr im königlichen
Glanz.
Mitten auf dem Dorfplatz ließ er halten, um sich gebührend feiern und bewundern zu lassen. Niemand
aus dem Volke merkte etwas von der Komödie. So dauerte es auch gar nicht lange, und schon kamen
die ersten Bittsteller:
Ein altes Mütterchen bat um die Freilassung ihres Sohnes, der angeblich unschuldig eingesperrt war.
Der Bürgermeister des Dorfes erbat eine Senkung der Steuerlast für die Gemeinde, und einer der
Bauern wollte seinen Sohn vom Militärdienst befreit wissen.
Der König auf dem Kutschbock lachte sich heimlich ins Fäustchen. Er beobachtete neugierig den
Kutscher, wie er sich nun wohl entscheiden und aus dieser Angelegenheit befreien würde. Daß ein
König auch unangenehme und verantwortungsvolle Aufgaben erledigen muß, hatte der Kutscher, der ja
jetzt das Amt des Herrschers auf sich genommen hatte, nämlich ganz übersehen. Doch der ließ sich
nicht ins Bockshorn jagen. Er war nämlich ein schlauer Kerl und sagte gewitzt: "Liebe Leute, als euer
König und Herrscher dieses weiten Landes kann ich mich nicht um jede Kleinigkeit kümmern. Gebt
darum getrost eure Bittbriefe meinem Kutscher. Er soll darüber entscheiden, was in jedem einzelnen
Fall geschehen soll. Und so, wie er entscheiden wird, so soll es gut sein. Dieses ist mein königlicher
Wille." Und so geschah' es auch. Der falsche Kutscher entschied über die Bitten des Volkes, und der
falsche König nickte zustimmend zu jeder Entscheidung.
"Du hast das Zeug in dir, am Hofe Minister zu werden", sagte der richtige König hinterher zu dem Kutscher,
als sie wieder am königliche Palast eintragen und die Kleider tauschten, "und drum entlaß ich dich nun als
Kutscher und stelle dich ein als Minister."
Der Kutscher fühlte sich geehrt und machte nunmehr seine Dienste als Minister.
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