Zurück zur Übersicht der Gute-Nacht-Geschichten

Der seltsame Vogel

Fern im Süden gab es mal eine Stadt. In ihren Mauern lebten viele Menschen. Die Händler machten ihre Geschäfte, die Soldaten maschierten und sangen, die Handwerker werkelten, und die Räuber räuberten. Eines Tages gab es Krieg im Land. Er brachte Not und Elend. Es dauerte nicht lange, und die Stadt war von feindlichen Soldaten überrannt. Als sie die Stadt wieder verließen, gab es nichts mehr zu beißen. Die Menschen mußten hungern, und mit dem Hunger kam die Pest. Die Seuche wütete schlimmer als die Krieger. Bald war die Hälfte aller Einwohner von dieser Krankheit befallen und starben nach und nach. Nur eine alte Frau blieb von der Pest verschont. Man nannte sie Mutter Ana. Sie war schon sehr alt, daß es fast schien, als hätte der Tod sie vergessen. Aber auch sie wollte schier am Leben verzweifeln. In all dem Elend ringsumher hatte auch sie keinen Mut mehr, gegen das Schicksal anzukämpfen. Ihr einziger Beisitz war ein seltsamer Vogel, der in einem Eisenkäfig in ihrem Zimmer saß. Ein fremder Seemann hatte ihm einst aus der Ferne mitgebracht.

Da die alte Frau keinen Menschen hatte, mit dem sie reden konnte, unterhielt sie sich oft stundenlang mit dem Vogel. Aber niemals hatte er ihr eine Antwort gegeben. Das Tier blieb immer stumm. Als aber die Alte nun in ihrem Leid so hin und her sann, piepste der Vogel plötzlich: "Du mußt! Du mußt!"
Mutter Ana hörte mit Staunen den Ruf des Vogels und wunderte sich. Sie deutete dieses Ereignis als einen Fingerzeig des Himmels, und sie faßte den Entschluß, den hilfslosen Menschen in der pestkranken Stadt mit ihren schwachen Kräften beizustehen. Sie tat einen kräftigen Zug aus einer irdener Schnapsflasche - denn Alkohol war das einzige Mittel, das vielleicht vor der tödlichen Krankheit schützen konnte. Dann raffte sie sich auf, um in die Häuser der Schwerkranken zu gehen. Ach, wie groß war dort die Sorge und die Todesfurcht! Aber Mutter Ana verzagte nicht. Sie begann die Kranken zu pflegen und sprach den Sterbenden Trost zu. Sie gab den Mutlosen gute Worte und den Schmerzgeplagten Beistand. Und wie durch ein Wunder begannen die Kranken zu gesunden. Bald war sie nicht mehr allein. Hier und dort hatten sich Menschen versteckt, die vor dem Zugriff der Pest verschont geblieben waren. Als diese das mutige Handeln der Alten beobachteten, kamen sie hervor, um auch zu helfen. Je mehr die Schwerkranken Pflege und Hilfe bekamen, um so mehr wurden sie wieder gesund. Die Toten wurden aber sofort begraben, damit sie die noch Gesunden nicht mehr anstecken konnten. Innerhalb eines Monats war die schlimme Krankheit besiegt. Ein halbes Jahr später nahm das Leben in der Stadt seinen gewohnten Gang. Mutter Ana kehrte in ihr Häuschen zurück. Da sah sie, daß der eiserne Vogelkäfig in ihrem Zimmer geöffnet und der Vogel entflogen war.

Heute hat die Stadt dreimal soviele Einwohner wie vor der Pest, und die Stadtmauern sind um mehr als das Doppelte gewachsen. Sie hat auch einen neuen Namen bekommen. In ihrem Wappen aber führt sie einen seltsamen Vogel auf goldenem Grund. Er soll an die schlimme Zeit und der Rettung erinnern. Die Einwohner sind stolz auf ihr Wappentier. Die hilfreiche Mutter Ana aber, die bald nach diesen Ereignissen starb, wird als Schutzpatronin der Stadt wie eine Heilige verehrt.

Nächste Gute-Nacht-Geschichte Vorherige Gute-Nacht-Geschichte

Märchenstube Märchenkalender Märchenwettbewerb Janosch
Sagenhafte Links Märchenblog Buchtipp des Monats Diddl
Gedichte Märchenchat Linkliste Sandmännchen
Postkartenservice Schreibwerkstatt Newsletter Award
Poesiealbum Kids-Gewinnspiele Email Meine Gäste
Spielekiste Suchen Noch mehr ...? Umfrage

Wenn du Fragen hast, klicke hier! Zum Seitenanfang
Zurück zur Startseite Email für die Märchenwelt Zum Gästebuch

© 2004 by step-4-step.de