Der ungebetene Gast
Eine junge Ratte wollte hoch hinaus. Vor dem Winter
veranstalteten die Ratten nämlich ein großes Fest. Zu diesem Fest kam alles, was in Rattenkreisen
Rang und Namen hatte, und der Tanz dauerte drei Tage lang. Die besten Früchte des Feldes und
die herrlichsten Küchenabfälle waren beim Rattenschmaus gerade gut genug.
Die junge Ratte aber war sich zu schade für solch ein Vergnügen. Sie verlangte mehr von ihrem
Schicksal und sagte: "Ich gehe zum Fest der Murmeltiere."
Vor dem Winter, wenn die Tiere gut im Futter waren, veranstalteten nämlich auch die Murmeltiere ein
großes Fest. Die Ratten feierten ihre Feste meistens in der Jauchegrube. Die Murmeltiere hingegen
aber tafelten tief unten im Berg in kristallenen Sälen bei festlicher Beleuchtung.
Durch besondere Geschicklichkeit war es der jungen Ratte dann auch gelungen, zu den Murmeltieren
in den Berg einzudringen. Da saßen die dicken fetten Murmeltierweibchen in ihren kostbaren Murmelpelzen
an der gedeckten Tafel, und die Männchen pfiffen durch die spitzen Zähne hübsche Lieder. Das war ein
seltsames Tischkonzert.
Ganz bescheiden setzte sich die Ratte an die unterste Ecke der Tafel, aber es dauerte nicht lange, da
war sie schon entdeckt.
"Seht einmal das unscheinbare Ding in dem dürftigen Kleid", riefen die Murmeltierfrauen und zupften
an ihrem kostbaren Pelzen. "Habt ihr gesehen, was für häßliche gelbe Zähne es hat?"
Nachdem sich die Murmeltierweibchen eine Zeitlang über die unbeholfene Ratte lustig gemacht hatten,
sagte das dickste von ihnen: "Ich glaube, Verehrteste, du bist ein ungebetener Gast, und ungebetene
Gäste können wir in unserer Gesellschaft nicht dulden."
Da wurde die arme Ratte schamrot bis über beide Ohren. Sie zog ihren kahlen Rattenschwanz ein und
lief davon, was sie nur laufen konnte, un die Murmeltiere pfiffen hinter ihr her.
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